Theorien der Spaltung

Theorien der Spaltung

„Ach, die Kunst und das Leben sind getrennt“ heißt es bei Friedrich Schlegel. Diagnosen eines Risses, eines Bruchs oder einer Entzweiung sind seit dem 18. Jahrhundert Legion. Das Alte und das Neue, das Naive und das Sentimentalische, Trieb und Moral driften auseinander. Marx diagnostiziert den „Scheidungsprozess“ zwischen Produzenten und Produktionsmitteln, Freud die unaufhebbare Kluft zwischen Bewusstsein und Unbewusstem, und Whitehead die „Bifurkation“ zwischen Natur und Kultur. Wie lassen sich Prozesse dieser Art verstehen? Folgen sie einem Muster oder handelt es sich um vielfache Überlagerungen?

Melanie Klein hat mit ihrer Fokussierung auf den Abwehrmechanismus der Spaltung ein psychoanalytisches Theoriekonzept vorgelegt, das helfen könnte, Trennungsprozesse nicht als bloße Differenzierung, sondern als aktive Trennungsarbeit zu verstehen, in der stets nur eine Seite zu ihrem Recht kommt und die andere als eigene verleugnet werden muss. Es öffnet sich nicht einfach eine Schere, etwa zwischen gutem und bösem Objekt; vielmehr kann jeweils nur die eine Seite als wahr und wirklich wahrgenommen werden. Von hier ausgehend soll es darum gehen, anstelle einer Differenzphilosophie eine Philosophie der Spaltung in ihren psychoanalytischen und modernitätstheoretischen Dimensionen zu skizzieren, die es erlaubt, Asymmetrien der Macht und symbolische Aufteilungsprozesse auf Grund von psychodynamischen Delegationsprozessen zwischen Projektion und Introjektion besser zu verstehen.

Literatur:
Melanie Klein, Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge zur Psychoanalyse, Stuttgart (Klett-Cotta) 2015
Julia Kristeva, Das weibliche Genie Melanie Klein: Das Leben, der Wahn, die Wörter, (Psychosozial Verlag), 2008
Hanna Segal, Melanie Klein. Eine Einführung in ihr Werk, Frankfurt am Main (Brandes und Apsel) 2013
Gilles Deleuze, Felix Guattari, Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie 1, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1983
Alfred North Whitehead, The Concept of Nature, 1919
Alexandre Kojève, Hegel. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1975
Friedrich Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, 1794
Karl Marx. Das Kapital. Kapitel 24