Eine Philosophie der holländischen Malerei

Eine Philosophie der holländischen Malerei

Hegel hatte die holländische Malerei als den „Sonntag des Lebens“ beschrieben; Menschen, die so wohlgemut auftreten, könnten nicht schlecht und niederträchtig gewesen sein. Roland Barthes hingegen war gerade dieses Wohlgemute verdächtig. Er sah darin nichts als ein biopolitisches Komplott gegen die niederen Klassen. Noch heute scheiden sich an der holländischen Malerei die Geister: manche sehen in ihr das republikanische Ideal oder gar ein Goldenes Zeitalter, andere die koloniale Phantasie einer radikalen Ausblendung. Hegel selbst hat jedoch mit den Begriffen der Szene, des Situativen und Charakteristischen Stichwörter gegeben, die spezifische Weise zu erfassen, durch die hindurch die holländische Malerei die soziale, ökonomische und politische Differenzierung ihrer Zeit repräsentierte. Die Vorlesung geht dem nach, was sich in Porträt und Gruppenporträt, Genreszenen und Interieurs, Landschaften und Stadtansichten, Stillleben und Emblemen an Vorstellungen über Natur und Kultur, Gesellschaft und Raum, Menschen und Dinge ausmachen lässt, was darin sichtbar gemacht und was verborgen wird. Ausgangspunkt hierfür wird die Frage sein, wie sich diese Kultur in einer bestimmten Idee des Bildes und der Malerei zu reflektieren versuchte. Denn mit ihrer Vertreibung aus den calvinistischen Kirchen verbreiten sich die Bilder in bis dahin ungeahnter Weise. Sie werden zu einer ebenso ökonomischen wie symbolischen Ressource des alltäglichen Lebens, dem sie Sinn, Wert und Bedeutung verleihen; und damit zum symptomatischen und ideologischen Ausdruck einer sich zunehmend entdifferenzierenden säkularen Welt. Gleichzeitig stellen sie jedoch stets auch reflexive Mittel als Malerei bereit, durch die hindurch das eigene ideologisch-Werden noch spürbar gehalten werden kann. Indem die Malerei gerade die Übergänge und Schwellen zwischen Innen und Außen, heilig und profan, dem Realen und dem Symbolischen, dem Bürgerlichen und dem davon Ausgegrenzten bearbeitet, befördert sie eine Vorstellung von Kunst jenseits der reinen Bildproduktion, für die es letztlich keine Einschränkung der Arbeitszeit mehr geben kann.

Literatur:

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1970

Roland Barthes, “The World as Object” (1953), in: Roland Barthes, Critical Essays, Evanston (Northwestern University Press) 1972, S. 3 – 12

Johan Huizinga, Holländische Kultur im 17. Jahrhundert (1941), München (C.H. Beck) 2007

Ronnie Baer, Class Distinctions Dutch Painting in the Age of Rembrandt and Vermeer, Boston (MFA Publications) 2015

Simon Shama, The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, New York (Vintage Books) 1997

Svetlana Alpers, The Art of Describing. Dutch Art in the 17th Century, Chicago (University of Chicago Press), 1984

Svetlana Alpers, Rembrandt’s Entreprise: The Studio and the Market, Chicago (University of Chicago Press), 1988

Mariet Westermann, A Wordly Art. The Dutch Republic 1585 – 1718, New York (Harry N. Abrams) 1996

Simon Gikandi, Slavery and the Culture of Taste, Princeton, NJ (Princeton University Press) 2014

Susan Buck-Morss, Hegel und Haiti, Berlin (Suhrkamp), 2011

Katja Diefenbach, Spekulativer Materialismus. Spinoza in der postmarxistischen Philosophie, Wien, Berlin (Turia + Kant) 2018